Vater sein dagegen sehr by Horst Biernath

Vater sein dagegen sehr by Horst Biernath

Autor:Horst Biernath [Biernath, Horst]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Wilhelm Heyne Verlag, München
veröffentlicht: 1969-09-11T23:00:00+00:00


NEUNTES KAPITEL

Kurz vor Mitternacht brachte er Margot heim, um noch den letzten Zug nach Hallfeld zu erwischen. Er verspürte, da er die Mixgetränke nicht gewohnt war, eine leichte Schwäche in den Beinen und eine angenehme Unternehmungslust im Kopf, die ihn veranlaßte, die Torero=Arie aus Carmen zu pfeifen, als er durch die ausgestorbenen Hallfelder Gassen seinem Turm zustrebte. Die Sichel des Mondes schwebte im ersten Viertel am Himmel, und im Westen wich der Orion den Sternbildern des Sommers. In der Nähe seiner Behausung regte sich bei Lutz das Gewissen, daß er den Bello länger als sieben Stunden ins Zimmer eingesperrt hatte. Hoffentlich war da kein Malheur passiert.

Vor der Eingangstür lag etwas auf der Schwelle. Wenn es ein Hund war, dann mußte es ein riesiger Köter sein. Oder was war es sonst? Hatte ihm etwa Herr Bonficht den letzten Zentner Briketts, mit dem er für den Rest der kühlen Jahreszeit auszukommen hoffte, einfach vor die Tür gestellt? Er näherte sich dem Turm ein wenig mißtrauisch und vorsichtig. Es konnte ebensogut ein Betrunkener sein, der sich seine Schwelle ausgesucht hatte, um seinen Rausch auszuschlafen.

»Heda!« schrie Lutz, als er sich der Tür auf fünf Schritt genähert hatte. Die konturlose Masse bewegte sich. Lutz strengte seine Augen an, aber er konnte, da die Tür im Mondschatten lag, auch bei angestrengtestem Schauen nicht mehr feststellen, als daß die dunkle Masse sich teilte und daß es nicht ein Hund war, wenn es überhaupt ein Hund war, sondern daß es zwei Hunde waren, wenn es überhaupt Hunde waren. He, dachte er, ich scheine doch einen kleinen in der Krone zu haben. Und daß es, wenn es überhaupt Briketts waren, zwei Säcke wären — oder zwei Betrunkene — oder überhaupt keine Betrunkenen — sondern zwei Kinder! Ein größeres, das einen Rock trug und demnach ein Mädel sein mußte, und ein kleineres, das Hosen trug und demnach ein Junge war!

Und das Mädchen hatte steckendünne Beine!

Und der Bub trug eine Mütze mit aufgeschlagenem Schirm!

Lutz war mit zwei Sprüngen bei ihnen. Sie hatten auf der Schwelle sitzend geschlafen und schnatterten vor Kälte. Sie waren so erstarrt und übermüdet, daß es ihnen nicht möglich war, andere Töne hervorzubringen als das Klappern ihrer Zähne.

»Ja, zum Teufel, Kinder — was ist mit euch los? Was tut ihr hier vor der Tür? Mitten in der Nacht — vor meiner Tür?«

»Ausgerissen san mir.« Das war alles, was der anscheinend etwas widerstandsfähigere Rudi mit bibbernden Lippen hervorbringen konnte. Innen bellte und tobte der Bello wie toll.

Man hörte es bis auf die Straße hinunter, wie er kläffte und die Tür aufzukratzen versuchte, durch deren Ritzen er Witterung von seinen kleinen eigentlichen Herren bekommen zu haben schien. Lutz sperrte die Tür auf und schob die erstarrten Kinder ins Haus. Er lief voraus, öffnete oben die Tür und wäre vom Hund fast überrannt worden. Der raste, sich halb überschlagend, die Stiege hinab und sprang unten wie verrückt an den Kindern empor, Schreie und Jaultöne ausstoßend, die nichts Irdisches mehr an sich hatten und wahrscheinlich die ganze Nachbarschaft aus den Betten scheuchte. Die Kinder wiederum vergruben ihre Gesichter heulend in seinem Fell.



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